KURZbeschreibung
Das Nachahmungsdilemma
Nachahmung ist eine grundlegende Form des sozialen Lernens, welche es uns ermöglicht, neues Wissen und Fertigkeiten schnell und effektiv anzueignen.

Nichtsdestotrotz müssen wir als Kinder auch lernen, dass es nicht wünschenswert ist, jede neue Handlung, die wir sehen, zu imitieren. Dazu gehören zum Beispiel ineffiziente Handlungen einer Person, die vielleicht noch unerfahren ist und daher ihr Handlungsziel nicht erreicht. Auf der anderen Seite müssen wir uns auch Verhaltensmuster aneignen, die im praktischen Sinne nicht zielführend sind, sondern kulturellen Normen und Gewohnheiten entsprechen. Wir lernen zum Beispiel, dass wir uns erst anziehen müssen, bevor wir außer Haus gehen, selbst wenn uns ohne Gewand nicht kalt wäre, oder dass wir uns nach einem Besuch ordentlich verabschieden, anstatt einfach zu gehen.    

Wie können wir aber - wenn wir eine ineffiziente Handlung beobachten -unterscheiden, ob eine Inkompetenz oder eine kulturelle Norm hinter dieser Handlung liegt? Wenn es sich um eine kulturelle Norm handelt, eröffnen sich weitere Fragen: Ist diese Norm Teil unserer eigenen Kultur und daher relevant für uns? Wie sollen wir wissen, ob diese Handlung nachahmenswert ist? Besonders für Kinder ist dies schwierig zu entscheiden, weil sich das kulturelle Wissen bei ihnen erst formt. Dennoch gibt es ein Signal der kulturellen Zugehörigkeit, das Babys schon früh erkennen: nämlich ob die Sprache, die eine Person spricht, die Muttersprache oder eine Fremdsprache ist. Babys könnten annehmen, dass es eine Verbindung zwischen der vertrauten Sprache und der bevorzugten Handlungsweise gibt. Diese könnte in etwa so lauten: jemand, der wie wir spricht, handelt auch wie wir, während eine Person, die anders spricht, oft auch anders handelt. Diese Annahme würde Babys eine Orientierung in solchen Situationen bieten, denn dieses Prinzip besagt, dass jemand, der die Muttersprache des Babys spricht, wahrscheinlich eine wünschenswerte Lernressource darstellt; selbst dann, wenn diese Person ungewöhnliche Handlungen ausführt. Einige Studien sind bereits der Frage nachgegangen, ob Babys stärker geneigt sind, eine ineffiziente Handlung zu imitieren, wenn diese von einer Person ausgeführt wird, die ihre Muttersprache spricht, als wenn dieselbe Handlung von einer fremdsprachigen Person ausgeführt wird. Allerdings waren die Studienergebnisse nicht eindeutig: Wenn ein 14 Monate altes Baby eine ineffiziente Handlung auf Video beobachtet hatte, war es eher bereit, die Person zu imitieren, die seine Muttersprache beherrschte. Allerdings konnte bei einer Live-Ausführung der Handlung kein Unterschied festgestellt werden.

Nazlı Altınok, Ildikó Király und György Gergely wollten diese Frage klären und herausfinden, ob die frühkindliche Imitationsbereitschaft für ineffiziente Handlungen nun tatsächlich mit der Sprache der vorzeigenden Person zusammenhängt. Allgemeiner ausgedrückt suchten sie die Antwort auf die Frage, ob dieses Prinzip das kulturelle Lernen von Babys fördert. In ihrer Studie nahmen (ungarisch-sprachige) Babys teil, die während des Experiments auf eine erwachsene Person trafen, die entweder des Ungarischen mächtig war (In-Group), oder Türkisch sprach (Out-Group). Diese Person erzählte zuerst eine einfache Geschichte und präsentierte dann ein den Babys unbekanntes Objekt mit einem großen, berührungsempfindlichen Licht in der Mitte. Anstatt ihre Hände zu benutzen, um das Licht auf dem Objekt einzuschalten, platzierte die Person das Objekt auf dem Boden und berührte das Licht mit ihrer Stirn, um es zum Leuchten zu bringen. Während dieser Demonstrationsphase sprach die Person nicht mehr mit dem Baby, hielt aber freundlich Augenkontakt. Nach der Demonstration verließ die Person den Raum, und die Babys konnten frei mit dem Objekt spielen.

80Prozent der Babys, die diese ungewohnte Handlung bei einer Person ihrer Muttersprache beobachteten, berührten mindestens einmal das Licht mit ihrer Stirn, während nur 25% der Babys, die einer fremdsprachigen Person zusahen, diese Handlung imitierten. Der Unterschied war sogar noch größer, nachdem die Babys während des freien Spiels das Licht mit ihren Händen eingeschaltet hatten: In diesem Fall verwendete keines der Babys der Out-Group seine Stirn, während mehr als die Hälfte der Kinder der In-Group die Handlung mindestens einmal nachahmten.

Diese Ergebnisse bestätigen, dass 18 Monate alte Babys bei der Imitation von neuen, ineffizienten Handlungen selektiv - ihrem Sprachmodell entsprechend - vorgehen. Dieser Mechanismus scheint Babys dabei zu helfen, kulturell relevante Praktiken zu lernen, selbst wenn diese kein direktes Ziel verfolgen.

Nazlı Altınok, Ildikó Király & GyörgyGergely (2021) The Propensity to Learn Shared Cultural Knowledge from Social Group Members: Selective Imitation in 18-month-olds, Journal of Cognition and Development. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/15248372.2021.1966013

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